Appell der sächsischen Städte, Gemeinden und Landkreise zur Energiekrise
Appell der sächsischen Städte, Gemeinden und Landkreise zur Energiekrise
Wir sächsischen Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte stehen in der Verantwortung für
unsere Kommunen, unsere Einwohner und unsere ansässigen Unternehmen. Mit größter Sorge blicken
wir auf die unsichere Versorgungslage und die enormen Preissteigerungen im Energiebereich sowie
die allgemeine Inflation. Viele Privathaushalte mit kleinen und mittleren Einkommen sowie viele
Unternehmen aller Branchen und Größen nähern sich einer existenzbedrohenden Situation. Weite
Teile der Gesellschaft blicken in eine unsichere Zukunft. Angesichts der dramatischen Entwicklungen
und in Sorge um den sozialen Frieden in unserem Land wenden wir uns mit dem folgenden Appell an
die Bundespolitik und an die Landespolitik:
- Der verbrecherische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist Ursache millionenfachen Leids
in der Ukraine, Ausgangspunkt einer bisher ungeahnten Energiekrise in Europa und einer
Nahrungsmittelverknappung in Afrika und Asien. Vom ersten Tag des Überfalls standen die
sächsischen Kommunen in beispielhafter Weise an der Seite der Ukraine und leisteten Hilfe und
Unterstützung. Auch in schier aussichtslos erscheinenden Situationen sollte jedoch der Weg der
Diplomatie nicht verlassen werden. Die Bundesrepublik muss sich für Verhandlungen zwischen
der Ukraine und Russland einsetzen. Frieden in Europa muss stetiges Ziel deutscher Außenpolitik
sein. Durch den Krieg ist mit langfristigen wirtschaftlichen und sozialen Schäden in ganz Europa
zu rechnen, deren Ausmaße mit der Kriegsdauer zunehmen. Die Sanktionen müssen von dem
Grundsatz getragen sein, dass deren negative Wirkung auf die Länder der westlichen
Gemeinschaft geringer sein muss als die Wirkungen gegen Russland. - Es muss ein umfassendes Konzept auf Bundesebene zur Bewältigung der Krisensituation
geschaffen werden, welches die Wirtschaft und Bevölkerung insgesamt im Blick hat. Die derzeit
stattfindenden erratischen Aktionen zur Abfederung einzelner Gruppen von Betroffenen können
das eigentliche Problem nicht lösen, denn dies ist ein Gesamtgesellschaftliches. Ein Herausgreifen
einzelner Gruppen von Betroffenen zieht unweigerlich weitere Ungerechtigkeiten nach sich.
Stattdessen sollten staatliche Maßnahmen dort ansetzen, wo das Problem entsteht und effektiv
beseitigt werden kann (z. B. bei Marktmechanismen oder bei den Gasimporteuren). - Wir teilen das Unverständnis der Bevölkerung darüber, dass einerseits von Bürgern und
Wirtschaft ein hoher, teilweise existenzgefährdender Preis abverlangt wird und gleichzeitig von
der Politik nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, das Angebot an Energie zu erhöhen.
Alle Energieträger müssen herangezogen werden, um diese tiefe Krise zu bewältigen. Dazu zählt,
so lange es technisch möglich ist, bestehende Kraftwerkskapazitäten in den Bereichen Kernkraft
und Kohle beizubehalten. Wir fordern eine verbindliche Aussage zur Laufzeit der Kohlekraftwerke im Freistaat Sachsen, um
der durch den Koalitionsvertrag auf Bundesebene entstandenen Verunsicherung
entgegenzuwirken. Es muss an den Vereinbarungen des Kohlekompromisses festgehalten
werden.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien im Bereich der Strom‐ und Wärmeerzeugung ist zu
beschleunigen. Insbesondere sind die Möglichkeiten für die Bereitstellung von Wärme aus den
Sektoren der Solarthermie, der Biogasverwertung, der Geothermie und der industriellen
Abwärme verstärkt zu nutzen. - Energie muss bezahlbar bleiben. Deshalb fordern wir für einen absehbaren Zeitraum eine Gasund
Strompreispreisobergrenze für alle Verbrauchergruppen. Diese würde für eine Beruhigung
des Marktes sorgen, die Kostensteigerungen für Bürger und Wirtschaft auf ein erträgliches Maß
dämpfen und gleichzeitig ungerechtfertigte Gewinnsprünge u. a. durch die Entkoppelung von Gasund
Strompreisen (Effekt der Merit‐Order) begrenzen.
Staatliche Abgaben auf Strom sowie Benzin und Diesel sind auf das europäische Minimum
abzusenken. - Notwendig ist ein Konzept zur Unterstützung und Entlastung der Wirtschaft, einschließlich der
kommunalen Unternehmen und Stadtwerke. Es müssen die notwendigen Instrumente
vorgehalten werden, um kurzzeitige wirtschaftliche Verwerfungen überbrücken zu können.
Änderungen am Insolvenzrecht wie z. B. ein Insolvenzmoratorium und staatliche Bürgschaften
auch für kommunale Unternehmen sind hier geeignete Mittel. - Wir verstehen all diejenigen, die um die Zukunft ihrer Familien, ihrer Unternehmen und unserer
Gesellschaft sorgen. Von Bund und Land erwarten wir eine transparente Kommunikation zur
aktuellen Lage und den kurz‐ und mittelfristigen Entwicklungen. Die Menschen müssen offen
darauf eingestellt werden, was sie erwartet und mit welcher Hilfe sie vom Staat rechnen können. - Wir Kommunen sind uns unserer Verantwortung bewusst, auch in dieser schwierigen und allseits
belastenden Situation den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Funktionieren des
Gemeinwesens vor Ort zu organisieren. Dieser Verantwortung wollen und werden wir uns stellen.
Um dies jedoch kraftvoll leisten zu können bedarf es einer flankierenden Anpassung des
landesrechtlichen Handlungsrahmens sowie angesichts der drohenden massiven kommunalen
Zusatzbelastungen (Energie‐ und Sozialkosten sowie massive Steuerausfälle) einer finanziellen
Unterstützung. - Auf Landesebene ist ebenfalls ein Krisenbewältigungskonzept erforderlich, das mit den beiden
kommunalen Landesverbänden abzustimmen ist. Dieses Konzept muss sich u. a. mit möglichen
Versorgungsausfällen bei Gas und Strom, mit der Erhaltung kritischer Infrastruktur und mit dem
Schutz vulnerabler Gruppen beschäftigen. Erforderlich ist ferner die Koordination durch die
oberste Katastrophenschutzbehörde.